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Selektive Dekontamination des Verdauungstraktes kann Infektionsrisiko bei Myelompatienten mit autologer Stammzelltransplantation verringern

Kein Kommentar Von ; Übersetzt von Sabine Schock
Veröffentlicht: 22. August 2019 14:27
Selektive Dekontamination des Verdauungstraktes kann Infektionsrisiko bei Myelompatienten mit autologer Stammzelltransplantation verringern

Die Ergebnisse einer in der Schweiz durchgeführten Studie zeigen, dass die selektive Dekontamination des Verdauungstraktes, eine umstrittene Strategie zur Verringerung des Risikos von Infektionen, bei Myelom­patienten, die sich einer autologen (eigenen) Stammzelltrans­plan­ta­tion unterziehen, wirksam sein kann.

Die Autoren der neuen Studie analysierten retrospektiv Daten von über 200 Myelompatienten, die zwischen 2009 bis 2015 eine stationäre Stamm­zell­transplantation in zwei Krankenhäusern in Zürich erhielten. Etwa die Hälfte der Patienten unterzog sich während ihrer Transplantationen einer selektiven Dekontamination ihres Verdauungstraktes (SDD), die andere Hälfte nicht.

Patienten, die sich einer SDD unterzogen, hatten ein deutlich geringeres Risiko, während ihres sta­tionären Aufenthalts für die Transplantation bakterielle Infektionen zu entwickeln, als Patienten, die sich keiner SDD unterzogen.

Nur 8 Prozent der Patienten, die sich einer SDD unterzogen, entwickelten eine bakterielle Infektion, verglichen mit 24 Prozent der Patienten, die sich keiner SDD unterzogen.

Auch das Auftreten von neutropenischem Fieber (hohes Fieber bei gleichzeitig niedriger Anzahl weißer Blutkörperchen) im Krankenhaus war bei Patienten mit SSD deutlich geringer.

Bei der selektiven Dekontamination des Verdauungstraktes werden mehrere Antibiotika eingesetzt, um den Bakterienspiegel im Verdauungssystem eines Patienten deutlich zu senken. Ziel ist es, das Risiko ernsthafter Infektionen bei den Patienten zu verringern. SDD ist umstritten, weil ihre Ver­wen­dung die Verbreitung antibiotikaresistenter Bakterien fördern könnte.

In der Schweizer Studie fanden die Forscher keine Beweise dafür, dass SDD zur Entwicklung resistenter Bakterienstämme führte. Die Autoren weisen jedoch darauf hin, dass dieser Befund mit Vorsicht interpretiert werden sollte, da die Patienten in ihrer Studie nicht routinemäßig auf das Vor­han­den­sein resistenter Bakterien getestet wurden. Zudem war die Antibiotikaresistenz in den Kranken­häusern, in denen die Patienten der Schweizer Studie ihre Transplantationen erhielten, kein Problem.

Basierend auf ihren Erkenntnissen sind die Schweizer Forscher der Meinung, dass SDD als eine Strategie zur Reduzierung des Risikos schwerer Infektionen bei Myelompatienten, die sich einer autologen Stammzelltransplantation unterziehen, betrachtet werden sollte. Die Autoren empfehlen auch, weitere Studien durchzuführen, um sowohl den potenziellen Nutzen als auch die potenziellen Risiken einer SDD bei Durchführung autologer Stammzelltransplantationen zu bewerten.

Hintergrund

Zwei gängige Nebenwirkungen der Stammzelltransplantation sind niedrige weiße Blutkörperchen und Mukositis, eine Entzündung der Schleimhäute, die den Mund und den Rest des Verdauungstraktes auskleiden. Die Kombination von niedrigen weißen Blutkörperchen und Mukositis macht Stamm­zell­transplantationspatienten besonders anfällig für Infektionen.

Verschiedene Strategien werden untersucht, um die Infektionsrate bei Krebspatienten mit thera­pie­be­dingten niedrigen weißen Blutkörperchen, einschließlich Patienten, die sich einer Stamm­zell­trans­plan­tation unterziehen, zu reduzieren. Eine dieser Strategien ist die selektive De­kon­ta­mination des Verdauungstraktes (SDD), bei der mehrere Antibiotika zur Reduzierung von Bakterien und Pilzen im Verdauungstrakt der Patienten verabreicht werden. Diese Strategie soll das Infektionsrisiko eines Patienten reduzieren, weil laut den Autoren der Schweizer Studie, die meisten Infektionen von Mikroben im Verdauungstrakt verursacht werden.

Seit mehreren Jahrzehnten untersuchen Forscher den potenziellen Nutzen von SDD bei schwer kranken und immunsupprimierten Patienten. Viele Studien haben ergeben, dass diese Strategie zur Reduzierung der Infektionen bei diesen Patienten wirksam ist. SDD ist umstritten aufgrund der Bedenken, dass eine regelmäßige Anwendung die Entwicklung von Bakterien fördern könnte, die gegen eine Vielzahl von Antibiotika hochresistent sind.

Tatsächlich reichten die Bedenken über die Auswirkungen der SDD auf die Bakterienresistenz aus, um ihre Verwendung auf eine Handvoll Länder in Kontinentaleuropa zu beschränken. SDD wird nicht sehr häufig in Nordamerika, Großbritannien, Australien oder Neuseeland durchgeführt.

In den letzten Jahren gab es mehrere Studien, die den potenziellen Wert von SDD bei der allogenen (Spender-) Stamm­zell­trans­plantation für Patienten mit Leukämie untersucht haben. Es gibt wenig Forschung über die potenzielle Wirkung von SDD während der autologen (eigenen) Stamm­zell­trans­plantation.

So versuchten die Autoren der aktuellen Studie, den Nutzen und das Risiko einer selektiven Dekon­ta­mination des Verdauungstraktes bei Patienten mit multiplem Myelom, die sich einer autologen Stammzelltransplantation unterzogen, zu berwerten.

Studiendesign

Die Schweizer Forscher analysierten retrospektiv die Daten von 203 Patienten mit multiplem Myelom, die zwischen November 2009 und Oktober 2015 im Rahmen des Stammzell­trans­plantations­pro­gramms der beiden Zürcher Krankenhäuser ihre erste autologe Stamm­zell­transplantation erhielten.

Aufgrund unterschiedlicher SDD-bezogener Richtlinien im Rahmen des Zürcher Transplantations­programms zwischen 2009 und 2015 erhielten einige Patienten während ihrer Transplantationen eine SDD, andere nicht. Es gab keine formalen Kriterien für die Auswahl von Patienten für die SDD. Somit waren Patienten, die eine SDD erhielten, denen sehr ähnlich, die keine SDD erhielten - genauso wie es in einer randomisierten klinischen Studie wäre, die die Wirksamkeit und Sicherheit der SDD untersucht.

Von den 203 Patienten in der Schweizer Studie erhielten 90 (44 Prozent) während ihrer Trans­plantation eine selektiven Dekontamination ihres Verdauungstraktes, 113 Patienten nicht.

Die SDD im Rahmen des Zürcher Transplantationsprogramms bestand aus drei oral verabreichten Antibiotika:

  1. Vancomycin - zur Bekämpfung grampositiver Bakterien, einschließlich Clostridium difficile
  2. Gentamicin - zur Bekämpfung gramnegativer Bakterien, einschließlich Pseudonomas aeruginosa
  3. Amphotericin B - gegen Pilzinfektionen.

Diese Dreierkombination sah 2013 etwas anders aus, als Metronidazol anstelle von Vancomycin verwendet wurde.

Patienten, die sich während ihrer Transplantationen eine SDD unterzogen, taten dies im Mittel für 12,5 Tage.

Studienergebnisse

Die Analyseergebnisse der Forscher zeigen, dass das Risiko einer bakteriellen Infektion bei Patienten mit multiplem Myelom, die sich einer selektive Dekontamination ihres Verdauungstraktes unterzogen, sehr viel geringer war als bei Patienten, die sich keiner SDD unterzogen.

Unter den Patienten, die sich einer SDD unterzogen, entwickelten nur 8 Prozent eine bakterielle Infektion, verglichen mit 24 Prozent der Patienten, die sich keiner SDD unterzogen.

Patienten, die sich einer SDD unterzogen, hatten weniger bakterielle Infektionen aller Art – Blut­kreis­lauf, Katheter, Haut, urogenitalien, gastrointestinal und pulmonal - als Patienten, die sich keiner SDD unterzogen. Die Differenz war bei bakteriellen Infektionen des Blutkreislaufs besonders ausgeprägt; 3 Prozent der SDD-Patienten hatten eine Infektion des Blutkreislaufs gegenüber 13 Prozent der Patienten, die sich keiner SDD unterzogen.

Die Forscher fanden auch heraus, dass Patienten, die sich einer selektiven Dekontamination des Verdauungstraktes unterzogen, während ihres stationären Aufenthalts weniger häufig zusätzliche orale oder injizierte Antibiotika benötigten als diejenigen, die sich keiner SDD unterzogen (62 Prozent gegenüber 77 Prozent).

Mukositis und neutropenisches Fieber

Zu ihrer Überraschung fanden die Schweizer Forscher heraus, dass SDD die Wahrscheinlichkeit einer Mukositis bei Myelompatienten, die sich einer Transplantation unterziehen, verringern kann. Vierzig Prozent der Patienten, die sich einer SDD unterzogen, hatten keine Mukositis, verglichen mit 22 Prozent, die sich keiner SDD unterzogen.

SDD scheint auch das Risiko eines Patienten für das Entstehen von neutropenischem Fieber (sehr hohes Fieber bei niedrigen weißen Blutkörperchen) während seines stationären Aufenthaltes zu verringern. Unter den Patienten, die sich einer SDD unterzogen, hatten 36 Prozent neutropenisches Fiebers im Vergleich zu 58 Prozent der Patienten, die sich keiner SDD unterzogen.

Durchfallerkrankungen

Die meisten der 203 Patienten in der Studie der Schweizer Forscher hatten während des Kranken­haus­auf­enthaltes Durchfall. Patienten, die sich einer SDD unterzogen, hatten eine höhere Wahr­schein­lichkeit, Durchfall zu erleiden, und die durchschnittliche Schwere des Durchfalls war für die Patienten, die sich einer SDD unterzogen, etwas größer.

Gleichzeitig trat der schwerste Grad an Durchfall nie bei den Patienten auf, die sich einer SDD unterzogen, aber bei drei der Patienten, die sich keiner SDD unterzogen.

Ebenso entwickelte keiner der Patienten, die sich einer SDD unterzogen, eine Clostridium difficile Infektion, verglichen mit 4 Fällen von C. difficile bei Patienten, die sich keiner SDD unterzogen. (C. difficile Infektionen können Durchfall verursachen, der besonders stark ist.)

Von SDD unbeeinflusste Ergebnisse

Die Dauer des stationären Krankenhausaufenthaltes für die Stammzelltransplantation war für beide Patientengruppen ähnlich; für Patienten, die sich einer SDD unterzogen, 14 Tage und für diejenigen, die dies nicht taten, 15 Tage.

Der Remissionsstatus 100 Tage nach der Transplantation war zwischen den beiden Patientengruppen ebenfalls vergleichbar und es gab keine statistisch signifikante Differenz zwischen den beiden Gruppen, weder in der progressionsfreien noch in der Gesamt­über­lebenszeit (obwohl beide Über­lebens­kriterien für Patienten, die sich einer SDD unterzogen hatten, geringfügig besser waren).

Unter den 203 Patienten in der Studie gab es drei behandlungsbedingte Todesfälle innerhalb von 100 Tagen nach der Transplantation. Ein Todesfall ereignete sich bei den 90 Patienten, die eine SDD erhielten, und zwei Todesfälle bei den 113 Patienten, die sich keiner SDD unterzogen.

Entwicklung der Antibiotikaresistenz

Die Schweizer Forscher untersuchten auch, ob die Bakterien, die in Blutproben von Patienten mit SDD gefunden wurden, Anzeichen einer Antibiotikaresistenz aufwiesen. Im Besonderen verglichen sie die Antibiotikaresistenz der Bakterien von diesen Proben mit der für ihr Krankenhaus gemeldeten Bakterienresistenz.

"Die Resistenzmuster der verschiedenen Krankheitserreger, die aus der Blutkultur isoliert wurden zeigten keine höheren Resistenzen im Vergleich zu den gemeldeten Resistenzen in unserer Institution,“ schrieben die Forscher. Die Forscher kommen zu dem Schluss, "dass der Einsatz von SDD nicht zur Entwicklung hochresistenter Erregerstämme geführt hat."

Die Studienautoren erkennen jedoch an, dass dieses Ergebnis mit Vorsicht zu interpretieren ist. Die Resistenztests wurden mit Proben von einer nur begrenzten Anzahl von Patienten in der Studie durchgeführt, die sich einer SDD unterzogen haben und Antibiotikaresistenz ist im Transplantations­zentrum Zürich kein Thema.

Für weitere Informationen siehe die Studie von Mürner, C. M., et al., "Efficacy of selective digestive decontamination in patients with multiple myeloma undergoing high-dose chemotherapy and auto­logous stem cell transplantation,” in Leukemia & Lymphoma, 21. August 2018 (Zusammen­fassung; auf Englisch).

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