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Vorgestellt: Tiragolumab

Kein Kommentar Von ; Übersetzt von Sabine Schock
Veröffentlicht: 8. Oktober 2019 15:29
Vorgestellt: Tiragolumab

Auf der Suche nach neuen Behandlungsmöglichkeiten für das multiple Myelom sind Forscher besonders daran interessiert, Therapeutika zu ent­wickeln, die einen anderen Angriffspunkt als bisherige Medikamente haben. Das Überleben und die Heilungschancen dürften am meisten durch neue Medikamente verbessert werden, die sich deutlich von anderen Myelom­thera­pien unterscheiden.

Einer der Gründe, warum zum Beispiel Darzalex (Daratumumab) eine so wichtige neue Behandlung für das multiple Myelom darstellt, ist die Tat­sache, dass es eine neue Behandlungsart der Erkrankung ist. Darzalex war nicht ein weiteres immun­mo­du­latorisches Medikament, wie Revlimid (Lenalidomid) oder Thalidomid und nicht ein weiterer Proteasom-Inhibitor, wie Velcade (Bortezomib), Ninlaro (Ixazomib) oder Kyprolis (Carfilzomib). Als monoklonaler Antikörper, der auf das CD38-Protein auf Myelomzellen abzielt, ist Darzalex das erste Medikament in einer völlig neuen Substanzklasse für die Behandlung der Erkrankung.

Deshalb ist Tiragolumab, der Schwerpunkt dieser Ausgabe der Beacon-Reihe "Vorgestellt" über poten­zielle neue Myelomtherapien, so faszinierend.

Eine monoklonale Antikörper-Anti-TIGIT-Therapie

Tiragolumab wird derzeit in drei verschiedenen klinischen Phase-1-Studien als potenzielle Behand­lung für das multiple Myelom und mehrere andere Krebsarten geprüft. Das Medikament hatte früher die Codenamen RG6058, RO7092284 und MTIG7192A.

Tiragolumab ist eine so genannte "Anti-TIGIT"-Therapie. Genauer gesagt ist es ein monoklonaler Antikörper, der gegen einen Rezeptor gerichtet ist, der als "TIGIT" (reimt sich  auf "digit") bekannt ist und sich auf T-Zellen und Natural Killer (NK)-Zellen befindet.

Es gibt derzeit keine zugelassene Anti-TIGIT-Therapie zur Behandlung des multiplen Myeloms oder einer anderen Krebsart. Es gibt jedoch mehrere Anti-TIGIT-Therapien in den frühen Phasen der kli­ni­schen Prüfung für verschiedene Krebsarten, und der Anti-TIGIT-Ansatz wird von vielen Forschern als eine vielversprechende Anti-Krebs-Strategie angesehen.

Wie Anti-TIGIT-Therapien funktionieren

Normalerweise spielen T-Zellen und NK-Zellen eine wichtige Rolle beim Schutz des Körpers vor Krebs, indem sie Krebszellen angreifen und töten.  Die Krebszellen, die es schaffen, im Körper zu überleben, tun dies meist, indem sie Wege finden, sich gegen die Immunantwort von T-Zellen und NK-Zellen zu verteidigen.

Eine Möglichkeit, wie sich einige Krebszellen gegen T-Zellen und NK-Zellen verteidigen, besteht darin, zwei Arten von Proteinmolekülen, CD112 und CD155, zu emittieren, die sich an die TIGIT-Rezeptoren auf T-Zellen und NK-Zellen binden können.  Wenn sich die Proteinmoleküle an einen TIGIT-Rezeptor binden, beginnt eine Abfolge von Ereignissen, die die Antikrebsaktivität der T- und NK-Zellen deutlich dämpfen oder sogar abschalten kann.

Anti-TIGIT Therapien sollen verhindern, dass CD112- und CD155-Proteine die T-Zellen und NK-Zellen "bremsen." Die Therapien tun dies, indem sie zuerst zu den TIGIT-Rezeptoren gelangen, sich an die Rezeptoren binden und damit verhindern, dass CD112 und CD155 sich an die Rezeptoren binden.

Wichtig ist, dass wenn sich die Anti-TIGIT-Substanzen an die TIGIT-Rezeptoren binden, sie nicht die anti-krebsdämpfende Wirkung wie Moleküle CD112 und CD155 haben.

Die Anti-TIGIT-Therapie ist eine Form der Checkpointhemmung

Wenn die Wirkung der Anti-TIGIT-T Substanzen vertraut klingt, dann deshalb, weil sie zu einer brei­te­ren Gruppe von Therapien gehören, die als "Checkpoint-Inhibitoren" bekannt sind. Diese Krebs­medi­kamente wirken, indem sie Krebszellen daran hindern, Immunsystem-"Checkpoints" wie TIGIT zu nutzen, um die Aktivität von T-Zellen und NK-Zellen zu dämpfen.

Die wohl bekanntesten Checkpoint-Inhibitoren sind Substanzen, die Krebszellen daran hindern, an dem sogenannten PD-1-Rezeptor auf T-Zellen und NK-Zellen anzudocken. Wie Anti-TIGIT verhindern auch PD-1 Checkpoint-Inhibitoren, dass die von Krebszellen emittierten Proteine - in diesem Fall PD-L1 und PD-L2 - sich an den PD-1-Rezeptor binden und die Antitumorreaktion von T-Zellen und NK-Zellen reduzieren.

PD-1 Checkpoint-Inhibitoren sind für die Behandlung einer Reihe von Krebsarten wichtig geworden. Die Myelomforscher waren deshalb optimistisch, als klinischen Studien gestartet wurden, um zu testen, ob PD-1 Checkpoint-Inhibitoren wie Keytruda (Pembrolizumab) oder Opdivo (Rivolumab) entweder allein oder zusammen mit bestehenden Myelom-Therapien zur Behandlung des multiplen Myeloms eingesetzt werden können.

PD-1 Sicherheitsbedenken erhöhen das Interesse an Anti-TIGIT-Therapien

Leider traten in einigen der Studien, in denen PD-1-bezogene Therapien bei Myelompatienten ge­tes­tet wurden, Sicherheitsprobleme auf und viele dieser Studien wurden eingestellt. Dies ist einer der Gründe, warum Forscher, so Fotis Asimakopoulos, ein Myelom-Spezialist an der University of Cali­for­nia, San Diego, "auf TIGIT beim Myelom gespannt sind." TIGIT ins Visier zu nehmen ist ein alternativer Checkpoint-bezogener Ansatz mit dem Potenzial, die Behandlungsergebnisse beim Myelom zu verbessern.

In einem Interview mit Myeloma Beacon wies Dr. Asimakopoulos, der einen Kommentar zur For­schung im Zusammenhang mit der Rolle von TIGIT beim Multiplen Myelom veröffentlicht hat, darauf hin, dass das Interesse an TIGIT als therapeutisches Ziel nicht nur von dem Wunsch geleitet wird, einen Ersatz für die PD-1-Inhibitoren zu finden. "TIGIT", so erklärte er, "scheint ein wichtiger Weg zu sein, der die Kommunikation und Beziehung zwischen den Immunzellen (wie T-Zellen und NK-Zellen) und Myelomplasmazellen steuert."

Die Phase-1-Studie von Tiragolumab beim ultiplem Myelom

Eine Phase-1-Studie mit Tiragolumab beim multiplen Myelom rekrutiert derzeit Patienten an drei Standorten in den USA: Denver, Colorado; St. Louis, Missouri und Nashville, Tennessee. Weitere Studienorte sind in Atlanta, Georgia und Philadelphia, Pennsylvania und vier verschiedenen Kliniken in Seoul, Korea, geplant.

Die Phase-1-Studie rekrutiert Patienten mit rezidiviertem Myelom oder rezidiviertem Non-Hodgkin-Lymphom. Patienten, die am ersten Teil der Studie teilnehmen, werden nur mit Tiragolumab behan­delt, das einmal alle 21 Tage infundiert wird. Patienten mit multiplem Myelom, die die Studie im zwei­ten Teil beginnen, werden sowohl mit Tiragolumab als auch mit Darzalex behandelt.

Weitere Informationen zur Studie, einschließlich der Zulassungs- und Ausschlusskriterien, finden Sie auf der Studienseite unter clinicaltrials.gov (auf Englisch).

Die Unternehmen, die Tiragolumab entwickeln

Tiragolumab wird von Genentech, einer Tochtergesellschaft des Pharmaunternehmens Roche, ent­wickelt. Weder Genentech noch Roche haben Myeloma Beacon oder seinen Mitarbeitern finanzielle oder andere Formen der Entschädigung gewährt. Um die Objektivität der Information zu gewähr­lei­sten, die sie der Myelom-Gemeinschaft bietet, sucht und akzeptiert The Beacon keine finanzielle Unterstützung von Pharmaunternehmen oder von ihnen unterstützten Organisationen.

Für wirklich Neugierige: Einige zusätzliche wissenswerte Informationen

"TIGIT" steht für "T-Zell-Immunrezeptor mit Immunglobulin und Immunrezeptor-Tyrosin-basierten inhibitorischen Motivdomänen". "PD-1" steht für "programmed cell death protein -1."

Obwohl die Diskussion in diesem Artikel sowohl CD112 als auch CD155 als Moleküle erwähnt, die sich an den TIGIT-Rezeptor binden und die T-Zell- und NK-Zell-Tumoraktivität dämpfen, wird ange­nommen, dass CD155 die wichtigste Rolle spielt.

Anti-TIGIT Therapien können Krebszellen nicht nur daran hindern, die Anti-Tumor-Aktivität von T-Zellen und NK-Zellen zu dämpfen; sie können diese Aktivität sogar stimulieren. Grund dafür ist die Tatsache, dass die Proteinmoleküle CD112 und CD155, die die Immunzellaktivität dämpfen, indem sie sich an den TIGIT-Rezeptor binden, auch die Aktivität von T-Zellen- und NK-Zellen stimulieren kön­nen, wenn sie sich an CD226, einem weiteren Rezeptor, der ebenfalls auf diesen Immunsystemzellen zu finden ist, binden.

Dadurch dass Anti-TIGIT-Therapien verhindern, dass CD112- und CD155-Moleküle sich an TIGIT-Rezep­toren binden, erhöhen sie die Wahrscheinlichkeit, dass diese Moleküle sich an CD226-Rezeptoren binden und damit die Anti-Tumorreaktion der T-Zelle oder NK-Zelle stimulieren.

Kurz gesagt, Anti-TIGIT-Therapien können mehr tun als nur die Bremse bei Immunzellen, die gegen das Myelom kämpfen, lösen; sie können auch auf das Gaspedal treten.

Computer model of an antibody (immunoglobulin) molecule.
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