Home » Deutsch

Nordlichter: Wetterbericht - Nebel und gefrierender Regen

Kein Kommentar Von ; Übersetzt von Sabine Schock
Veröffentlicht: 18. September 2012 17:38
Nordlichter: Wetterbericht - Nebel und gefrierender Regen

Wie war der Wetterbericht im Frühling 2010, als ich meine Stammzelltransplantation hatte? Er schien meinem geistigen Zustand zu entsprechen: Schneeschauer (kalte und einsame Gedanken), Eisregen (Tränen, die wie nicht fließen wollen), Nebel (wie Gehirnnebel) , dazu häufig strahlender Sonnenschein (dankbar, das Myelom überlebt zu haben). Typisches Vorgebirgswetter; wenn Sie es nicht mögen, warten Sie 15 Minuten und es wird sich wahrscheinlich ändern. So ist das am Fusse der kanadischen Rocky Montains.

Die Behandlungen, einschließlich der Chemotherapie, die ich damals bekam, hatten eine zerstörende Wirkung auf meine kognitiven/geistigen Fähigkeiten. (Ich bin der Meinung, dass ich jetzt von all dem genesen bin, obwohl ich nicht diejenige bin, die das wirklich entscheiden kann.)

Nach der erfolgreichen Induktionstherapie begann ich im Frühling 2010 mit der Stammzelltransplantation. Ich erhielt hohe Dosen Cyclophosphamid vor der Stammzellernte und dann Melphalan zur Zerstörung meines Knochenmarks. Einen Tag später wurden meine Stammzellen verwendet, um mich aus dieser Behandlung 'zu retten'. Der komplette Prozess war für meine Gehirnzellen sicher nicht hilfreich.

Ich fotokopierte Seiten mit Gedichten und brachte sie mit ins Krebszentrum, um sie während meiner Therapiezeit zu lernen. Robert Burns, Joni Mitchell, William Shakespeare … die Musen leisteten mir dort Gesellschaft. Dennoch konnte ich die Gedichte und Lieder nicht auswendig lernen. Mein Chemohirn spielte mir einen Streich beim Versuch mich zu konzentrieren. Wenn Sie eine ältere Person sind und mal versucht haben, sich Liedtexte, Klavierstücke und ähnliches einzuprägen, wissen Sie wahrscheinlich, was ich meine. Die jungen Erwachsenen überholen uns selbst in den besten Zeiten, wenn es darum geht, etwas auswendig zu lernen.

Laut der amerikanischen Krebsgesellschaft wird der 'Gehirnnebel' oder das 'Chemohirn' durch folgende Symptome definiert:

  • Schwund des Kurzzeitgedächtnisses
  • Konzentrationsschwierigkeiten/kurze Aufmerksamkeitsspannen
  • Wortfindungsschwierigkeiten, wie das Erinnern an Namen oder das im Stande sein, Sätze zu vollenden
  • Schwierigkeiten mit Multitasking
  • Verlangsamung des Denkens und der Verarbeitungszeiten, d. h. es dauert länger Dinge zu beenden

Einige dieser Nebeleffekte, die ich ertragen musste, waren Variationen der oben angeführten Punkte. Ich konnte mich nicht an die Namen von Leuten erinnern, auch wenn ich sie schon seit Jahren kannte (sobald mir der Name einige Stunden später einfiel, vergass ich ihn nicht mehr).

Ich fühlte mich manchmal ganz verloren, zum Teil wahrscheinlich wegen der kognitiven Schwäche, aber auch weil ich die Myelomdiagnose und Therapie emotional noch zu verarbeiten hatte. Ich konnte mich manchmal nicht an die einfachsten Dinge erinnern, ganz zu schweigen davon, Dinge zu erledigen, die ich ein Jahr früher noch konnte. Ich hatte Probleme mit einfachen mechanischen Dingen, wie z. B. ein Kombinationsschloss aufmachen, eine Kappe auf einer 'kindersicheren' Plastikflasche von Pillen aufdrehen oder eine Tintenpatrone auf dem Drucker des Computers wechseln. Ich machte mir auch Sorgen über meine Fahrfähigkeiten und fuhr so wenig wie möglich. Ich denke, dass meine Reaktionszeiten beim Fahren verlangsamt waren.

Ich schreibe gewöhnlich ein Tagebuch, in dem ich kurz die Ereignisse des Tages notiere. Um die Zeit meiner Stammzelltransplantation gibt es jedoch eine Lücke darin. Die Einträge fingen einen Monat nach der Transplantation allmählich wieder an.

Ich schrieb, dass wir bei einem Freund eingeladen waren, um die Eröffnungsfeier der Olympischen Winterspiele mit zu verfolgen, die in dem Jahr in Vancouver stattfanden. Es war großartig, nach Krankheit und Müdigkeit in ein solches soziales Ereignis eingebunden zu werden. Einen Monat später war ich zurück bei meiner Arbeit (Buchhaltung) und mußte schnell die Termine für unsere Steuererklärungen einhalten. Unser Buchhalter war eine grosse Hilfe für mich in dem Steuerjahr.

Ich bin überzeugt, dass sich die meisten Patienten des Phänomens des Chemohirns bewusst sind, und ich bin auch überzeugt, dass jeder seine eigenen Strategien hat, zu einem normalen Denkprozess zurückzukommen.

Einige Dinge halfen mir sehr im Umgang mit dem Chemohirn.

Zum Beispiel kommunizierte ich weiterhin mit allen Menschen in meinem Leben, sei es persönlich, per Telefon, SMS oder Mail. Es half mir, meinen Sätzen wieder eine sinnvolle Bedeutung zu geben.

Eine andere Hilfe war das Lösen von Kreuzworträtseln und online Scrabble. Meine Mutter,  meine beiden Schwestern und ich spielen seit 2006 zusammen online Scrabble. Wir haben wirklich Hunderte von Spielen zusammen gespielt. Es hat uns geholfen, miteinander in Kontakt zu bleiben, da uns viele Hunderte von Kilometern, einige Bergketten und ein Ozean voneinander trennen. Scrabble ist mein Lieblingswortspiel … Sie können Ihr Vokabular erweitern und es hält Sie auch geistig fit.

Wie oben erwähnt führe ich ein Tagebuch/Kalender, um meine Ereignisse zu notieren und nach zu verfolgen. Ich habe herausgefunden, dass es sinnvoll ist, nicht zu viele Listen zu führen oder mehrere Kalender nebeneinander zu haben, weil das Verwirrung stiften kann.

Ich fing an, beim Reisen hell gefärbte Schleifen um meine Koffer zu binden, die mir helfen sollten, die Koffer wieder zu erkennen und nicht ohne sie abzureisen. Mehr als einmal habe ich einen Koffer in einem Flughafen vergessen und das Gebäude ohne ihn verlassen. Es war nicht nur das Gepäck, welches man einchecken muss, mit dem ich Schwierigkeiten hatte, sondern auch das Handgepäck.

Ich habe einen grauen Rucksack mit Rollen, den ich wiederholt im Flughafenwartebereich zurückgelassen habe. Ich hätte ihn ohne meinen Mann Dilip verloren, der das Fehlen bemerkt hatte. Wir saßen bereits in einem Zubringerbus, mussten schnell rausspringen und ins Terminal zur Information zurücklaufen, wo ich den Rucksack liegengelassen hatte. Jetzt binde ich helle Schleifen an alle Gepäckstücke und hoffe, dass ich in der Zukunft kein Gepäck mehr vergesse.

Zum Sortieren meiner Gedanken hat mir auch das Wandern geholfen. Auf vielen meiner Spaziergänge grübele ich über meine ToDo-Listen und plötzlich habe ich einfach eine Eingebung, was als nächstes zu tun ist.. es macht plopp, wie wenn ein dumpfes Geräusch ertönen würde! Auf diese Weise habe ich meinen Tag geplant, da Listen für gewöhnlich sowieso zu lang und unrealistisch sind.

Eines der besten Dinge, die ich gemacht habe, um mein Chemohirn in den Griff zu bekommen, war, dass ich Dinge schrieb, die von anderen Menschen gelesen werden.

Im Frühling 2010 bot ich mich an, die Protokolle für unsere Nähgruppe, eine lokale Gruppe mit ungefähr 60 Damen, zu schreiben. Sie brauchten dringend einen Freiwilligen, aber waren überrascht, als ich mit meiner Perücke kam und mich noch unter Chemotherapie befand und  ihnen meine Hilfe anbot. Zuerst war es wirklich ein Kampf, das Protokoll zu schreiben, aber ich bekam meine Fähigkeit, mich an Namen zu erinnern, langsam wieder zurück und konnte dem Fluss der Sitzungen schließlich folgen und alles schnell notieren. Ich musste nur einige ersten Protokolle verbessern und weil es eine freiwillige Aufgabe war, waren die meisten Menschen ziemlich verständnisvoll und gut und machten mich auf meine 'Fehler oder Auslassungen“ aufmerksam.  

Im Winter diesen Jahres fing ich an, eine Kolumne für Myeloma Beacon zu schreiben. Das hat mir auch sehr beim Sortieren meiner Gedanken im Hinblick auf die Ereignisse der letzten drei Jahre geholfen. 

Ich hoffe, dass einige meiner Vorschläge denjenigen helfen, die unter kognitiven Schwierigkeiten leiden. Ich kann sagen, dass sich die meisten dieser Schwierigkeiten im Laufe der Zeit mit ein wenig Anstrengung und der Hilfe von anderen erledigten. 

Eine letzte Bemerkung möchte ich noch machen: Es wird auf der Website der kanadischen Krebsgesellschaft erwähnt, dass ein Patient ein Jahr oder länger nach der Behandlung Probleme mit dem Gedächtnis haben kann.

Man sollte auch bedenken, dass viele Menschen, die nie Krebs gehabt haben, dieselben Gedächtnisprobleme haben können.

Haben Sie als Leser irgendwelche Gedanken, die Sie gern über das Phänomen des Gehirnnebels, auch bekannt als Chemohirn, teilen möchten?

Dem Wetterbericht zufolge wird es heute 'größtenteils sonnig, kein Regen oder Nebel, nur einige vereinzelte Wolken, bei milden Temperaturen.'

───────────────── ♦ ─────────────────

Das Zitat für diesen Monat ist von Oskar Wilde (1854-1900), einem irischen Dramatiker, Dichter und Autor von Aufsätzen und Romanen, der schrieb, "Gedächtnis ist das Tagebuch, das wir alle mit uns tragen."

Nancy Shamanna ist eine Myelompatientin, die eine monatliche Kolumne für Myeloma Beacon schreibt.

Die in diesem Artikel beschriebenen Ansichten und Meinungen sind ausschliesslich diejenigen des Autors und nicht unbedingt diejenigen von Myeloma Beacon und deren Angestellten.

Falls Sie eine Kolumne fuer Myeloma Beacon schreiben möchten, schreiben Sie bitte an .

Tags: , ,


Ähnliche Artikel: