Kontroverse über Revlimid und Zweitmalignome weitet sich aus
Veröffentlicht: 5. Februar 2011 00:46


Mehrere Berichte von Investmentbanken, die in der ersten Februarwoche veröffentlicht wurden, haben die Sorge über eine potenzielle Verbindung zwischen Revlimid und Zweitmalignomen bei Myelompatienten erhöht. Die Berichte haben Kapitalanleger in solchem Maße verunsichert, dass die Aktie von Celgene, dem Hersteller von Revlimid, seit Mitte letzter Woche um 9 Prozent gefallen ist.
Der Verdacht über einen Zusammenhang zwischen Revlimid (Lenalidomid) und sekundären Malignomen kam zum ersten Mal im Dezember während der Jahresversammlung der amerikanischen Gesellschaft für Hämatologie (ASH) auf. Auf diesem Treffen wurden Ergebnisse von drei Studien präsentiert, die eine langfristige Revlimid-Einnahme untersuchten. Alle drei Studien zeigten mehr Fälle von Zweitmalignomen in den Revlimid- Armen als in den Placebo-Armen.
In einem Konferenzgespräch letzte Woche mit Wall Street Analytikern berichtete die Geschäftsleitung von Celgene, dass die Firma seit Dezember mehrere detaillierte Analysen von Revlimid- Patientendaten durchgeführt hat. Alle Analysen zeigen, dass Patienten, die Revlimid nehmen, kein höheres Risiko haben, Zweitmalignome zu entwickeln.
Celgene gab während des Konferenzgespräches jedoch auch bekannt, dass die Revlimid Erhaltungstherapie in der französischen IFM 2005-02 Studie eingestellt werden könnte, um Forschern die Möglichkeit zu geben, Untergruppen der Studienteilnehmer zu analysieren und eine erneute Behandlung von rezidivierten Patienten zu prüfen. Die IFM Studie ist eine der drei Studien, die die Sorge über eine potentielle Verbindung von Revlimid mit Zweitmalignomen auf der ASH-Sitzung im Dezember auslöste.
Diese zusätzlichen Informationen über die IFM Studie ließen diese Woche die Sturmglocken an der New Yorker Börse läuten. Diese neuen Informationen sind jedoch ebenso wichtig für Myelompatienten und Ärzte, die das multiple Myelom behandeln.
Am Mittwoch beschrieb ein Bericht von Merrill Lynch die Informationen, die die Investmentbank von "einem führenden Wissenschafter innerhalb der IFM Gruppe“ erhalten hat. Der Bericht sagte, dass von den 20 Zweitmalignomen, die bei Patienten im Revlimid Erhaltungsarm der IFM-Studie aufgetreten waren, fünf "von einem in dieser Krankheitskonstellation selten beobachteten Typ (3 Hodgkin-Lymphome / 2 akute Lymphozytenleukämien) waren und alle fünf innerhalb von 24 Monaten nach der Behandlung" mit Revlimid auftraten.
Der Wissenschafter erzählte Merrill Lynch auch, dass die IFM entschieden hat, die Revlimid-Therapie in dieser Studie zu stoppen, weil die Gruppe glaubt, dass "die seltenen Malignome mit der Revlimidgabe verbunden sind, und dass es angebracht ist, die Therapie für die restlichen Patienten in der Studie einzustellen", da alle schon mindestens zwei Jahre die Revlimid-Therapie erhalten haben.
Viele der im Merrill Lynch-Bericht angeführten Argumente wurden durch Information aus einem Bericht von Geoffrey Porges von Bernstein Research (eine amerikanische Firma, die Analysen für die Wall Street durchführt) erweitert und ergänzt, der am Donnerstag veröffentlicht wurde.
Nach Interviews mit IFM-Forschern bestätigte Porges, dass sich die Gruppe dafür entschieden hat, die Revlimid-Therapie in der Studie einzustellen. "Die IFM glaubt, dass [das Risiko von Zweitmalignomen] mit der verlängerten Einnahme von Revlimid ansteigt und hat deshalb alle an der Studie teilnehmenden Ärzte angewiesen, die Gabe von Revlimid bei Patienten, die noch Revlimid bekommen, einzustellen."
Porges ergänzte "Die weitere Analyse der IFM-Studie weist darauf hin, dass die Rate [der Zweit-] Malignome in den ersten 24 Monaten [der Revlimid] Behandlung der im Kontrollarm ähnlich war und nur am Ende der Studie anfing, sich disproportional zu vergrößern." Diese Schlüsse wurden von IFM-Forschern nach einer gründlichen Anschlussanalyse mit den Ärzten gezogen, die Patienten im Kontrollarm der Studie behandelten. Die Anschlussanalyse wurde durchgeführt, um sicherzustellen, dass die IFM vollständige Informationen über das Vorkommen von Zweitmalignomen in beiden Armen, d.h. sowohl im Revlimid als auch im Kontrollarm, der Studie hatte.
In der IFM-Studie waren 307 Patienten im Revlimid-Erhaltungsarm, und 20 dieser Patienten entwickelten Zweitmalignome. Der Kontroll- (Placebo) Arm umfasste ebenfalls 307 Patienten, aber nur drei Patienten in diesem Arm entwickelten Zweitmalignome.
Porges von Bernstein Research schrieb, dass die IFM-Forscher der Meinung seien, dass, basiert auf ihren Daten, der progressionsfreie Überlebensvorteil unter Revlimid "in den ersten 18-24 Monate zu liegen scheint. Der zusätzliche Vorteil danach ist durch das erhöhte Risiko von sekundären Malignome nicht zu rechtfertigen."
Zusätzlich zur IFM-Studie wurden auf dem ASH-Treffen Daten von zwei weiteren Studien präsentiert, die eine Verbindung zwischen Revlimid und dem Auftreten von Zweitmalignomen andeuten: die in den USA stattfindende CALGB-Studie und die internationale MM 015-Studie.
Es ist noch nicht klar, ob die Forscher dieser beiden anderen Studien dem IFM-Beispiel folgen und die Revlimid-Therapie ihrer Patienten einstellen werden. Einige Investmentbank-Analytiker glauben, dass das geschehen könnte. Vertreter von Celgene sagten jedoch Myeloma Beacon in einem Telefongespräch am Freitag, dem 4.2.11, dass sie keine Anhaltspunkte dafür haben, dass dies tatsächlich geschehen würde.
Ein Analytiker von Wall Street schrieb Myeloma Beacon, dass es "eine klare Trennung zwischen den französischen und anderen Wissenschaftlern gibt. IFM denkt, dass das echt und bedeutend ist und eine Begrenzung der Revlimid-Behandlungsdauer rechtfertigt; amerikanische und andere Wissenschaftler sind der Meinung, dass es gering und unklar ist und die Begrenzung der Behandlungsdauer nicht rechtfertigt." Der Analytiker fuhr fort, "beide Lager sind der Meinung, dass eine gewisse Dauer der Erhaltungstherapie notwendig ist, es ist nur die Frage wie lange."
Der letzte Punkt wird durch eine wichtige Aussage im Bericht von Bernstein unterstrichen: Trotz des Vorkommens der Zweitmalignome im Revlimid-Arm der IFM-Studie, ist die IFM der Meinung, "dass der Vorteil der sofort anschließenden Revlimid-Erhaltungstherapie überwältigend ist."
Eine ähnliche Position wurde von Dr. Paul Richardson vom Dana Farber Cancer Institut in Boston in einer E-Mail an Myeloma Beacon über die Revlimid-Kontroverse geäußert. Auf die Frage, ob die neuesten Entwicklungen seine Ansichten über die langfristige Revlimid-Therapie geändert hätten, sagte Dr. Richardson, "Nein. Die Gefahr scheint klein zu sein, und der Vorteil von Revlimid ist groß."
Dr. Richardson macht sich jedoch Gedanken, ob es negative Wechselwirkungen zwischen Revlimid und anderen Medikamenten, die Myelompatienten häufig bekommen, wenn sie sich einer Stammzelltransplantation unterziehen, geben könnte. Die mit einer Transplantation verbundenen Behandlungen könnten die DNA in den Zellen der Patienten beschädigen. Diese Wirkung kann allein nicht ausreichend sein, um sekundäre Malignome zu verursachen. Revlimid könnte nun mit der vorgeschädigten DNA interagieren und in einer kleinen Anzahl von Patienten dazu führen, dass sich die Zweitmalignome entwickeln.
Celgene Vertreter berichteten Myeloma Beacon am Freitag, dass detaillierte Analysen der CALGB-, IFM- und MM 015-Studiendaten in den kommenden Monaten abgeschlossen werden und die Ergebnisse dieser Analysen auf wichtigen Myelom-Treffen im Mai und Juni diesen Jahres präsentiert werden.
Eine andere laufende Studie (MM 020) wird ebenfalls dazu beitragen, die optimale Dauer der Revlimid-Therapie zu bestimmen. In dieser Studie wird Revlimid plus Dexamethason bis zur Krankheitsprogression mit Revlimid plus Dexamethason für 18 vierwöchige Zyklen und mit einer Kombinationstherapie aus Melphalan (Alkeran), Prednison und Thalidomid verglichen. Ergebnisse werden gegen Ende 2012 erwartet.
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