Während der Myelombehandlung mit Thalidomid oder Revlimid ist Aspirin bei der Thrombose-prophylaxe nicht so wirksam wie andere Substanzen
Veröffentlicht: 17. September 2013 17:34


Ergebnisse einer neuen französischen Studie, die sich auf Daten aus der klinischen Praxis stützt, zeigen, dass Vitamin K-Antagonisten und niedrigmolekulares Heparin bei der Thromboseprophylaxe unter einer Myelombehandlung mit den immunmodulatorischen Substanzen Thalidomid oder Revlimid wirksamer sind als Aspirin.
Sieben Prozent der Patienten, die Aspirin erhielten, entwickelten Thrombosen im Vergleich zu 3 Prozent der Patienten, die niedrigmolekulares Heparin erhielten, und 0 Prozent, die einen Vitamin K-Antagonisten wie Warfarin (Coumadin) erhielten.
Interessanterweise war die Rate der Thrombosebildung bei Patienten mit dem höchsten Thromboserisiko am niedrigsten. Die Forscher spekulieren, dass der Grund dafür darin liegt, dass risikoreiche Patienten öfter vorbeugend mit Vitamin K-Antagonisten und niedrigmolekularem Heparin behandelt werden.
"Die Thrombosebildung ist eine häufige und schwere Nebenwirkung, die mit dem Einsatz von immunmodulatorischen Substanzen bei Myelompatienten verbunden ist. Deshalb sollte die vorbeugende Behandlung bei Myelompatienten, die mit immunmodulatorischen Substanzen behandelt werden, unabhängig von Risikofaktoren für die Thrombosebildung obligatorisch sein," schreiben die Forscher in ihrer Veröffentlichung.
Aus ihren Ergebnissen schließen die Forscher, dass Aspirin nicht als „effiziente Behandlung zur Verhinderung von Thrombosen betrachtet werden kann." Sie weisen darauf hin, dass Ärzte Patienten mit hohem Thromboserisiko niedrigmolekulares Heparin oder Vitamin K-Antagonisten verschreiben sollten.
Die Ergebnisse der aktuellen Studie zeigen auch, dass die Thrombosefrequenz während der ersten 12 Monate der Behandlung mit Thalidomid und Revlimid gleichbleibend hoch war. Dies zeigt den Forschern zufolge, dass Patienten thrombosegefährdet sind, solange sie immunmodulatorische Substanzen erhalten.
"Daher sollten Myelompatienten während der Einnahme von [immunmodulatorischen Medikamenten] unter [Antikoagulation] gehalten werden, weil solange ein erhöhtes Thromboserisiko vorhanden ist," schlussfolgern die Studienleiter.
Hintergrund
Immunmodulatorische Substanzen (IMiDs) sind eine Substanzklasse, die das Immunsystem des Patienten veranlasst, Myelomzellen anzugreifen und zu zerstören. IMiDs schließen Thalidomid, Revlimid (Lenalidomid) und Pomalyst (Pomalidomid, Imnovid) ein.
Frühere Studien haben gezeigt, dass IMiDs, besonders in der Kombination mit Dexamethason, die Bildung von Blutgerinseln in den Venen eines Patienten erhöhen (eine schwerwiegende Komplikation, die venöse Thrombose genannt wird). Thrombosen formen sich häufig in tiefen Venen und können lebensbedrohlich werden, wenn sie sich loslösen und in die Lungenarterien gelangen (Lungenembolie).
In den Vereinigten Staaten enthalten die Beipackzettel für die IMiDs Warnungen, dass diese Medikamente die Thrombosegefahr erhöhen. Patienten und Ärzten wird deswegen der Einsatz von Antikoagulantien empfohlen. Patienten, die eine IMiD Behandlung bekommen, erhalten deshalb häufig blutverdünnende Medikamente wie Aspirin, niedrigmolekulares Heparin oder einen Vitamin K-Antagonisten. In den Vereinigten Staaten ist der am weitesten verwendete Vitamin K-Antagonist Warfarin, in Deutschland Markumar.
In der aktuellen Studie, die unter dem Namen MELISSE bekannt ist, wollten französische Forscher bestimmen, wie oft Thrombosen während der IMiD Behandlung des Myeloms vorkommen. Darüber hinaus wollten sie Risikofaktoren identifizieren, die mit einem erhöhtem Thromboserisiko verbunden sind, und die Wirksamkeit von verschiedenen antikoagulatorischen Medikamenten zur Thrombosevermeidung vergleichen.
Studiendesign
Insgesamt nahmen 524 Patienten von 52 Zentren in Frankreich an dieser Studie teil. Die Studie war nicht-interventionell. Dies bedeutet, dass die Forscher Daten von Patienten während der Behandlung in der Klinik (und nicht aus klinischen Studien) gesammelt und analysiert haben. Das mittlere Alter der Teilnehmer betrug 71 Jahre; 65 Prozent der Patienten waren über 65 Jahre alt.
Insgesamt erhielten 64 Prozent der Patienten eine Revlimid-basierte Therapie und 36 Prozent eine Thalidomid-basierte Therapie.
Ungefähr 39 Prozent der Patienten hatten keine vorherige Behandlung erhalten; die anderen 61 Prozent hatten eine oder zwei Vortherapien erhalten.
Die Forscher haben die Patienten nach vier und 12 Monaten nach Behandlungsbeginn nachkontrolliert.
Studienergebnisse
Tendenzen in der Verschreibung von gerinnungshemmenden Medikamenten
Als erstes untersuchten die Forscher, ob die Risikoeinschätzung der Ärzte die Wahl von gerinnungshemmenden Medikamenten beeinflusste.
Vor dem Behandlungsbeginn mit IMiDs wurden alle Patienten nach den aktuellen Richtlinien auf ihr Thromboserisiko bewertet. Klassische Risikofaktoren für die Thrombosebildung waren Patienten-bedingte Faktoren, wie eine Familienanamnese mit Thrombosen, Operationen, Übergewicht und fehlende Bewegung, sowie Myelom-bedingte Faktoren, wie erhöhte Blutviskosität und das Vorhandensein eines Katheters in einer größeren Vene.
Auf Grundlage dieser Risikofaktoren wurden 47 Prozent der Patienten als risikoarm, 39 Prozent mit mittlerem Risiko und 14 Prozent als risikoreich klassifiziert.
Insgesamt erhielten 85 Prozent der Patienten eine gerinnungshemmende Therapie; 59 Prozent erhielten Aspirin, 17 Prozent niedrigmolekulares Heparin und 9 Prozent Vitamin K-Antagonisten.
Die Mehrheit der Patienten mit niedrigem Risiko (70 Prozent) und mittlerem Risiko (58 Prozent) wurde mit Aspirin behandelt. Im Vergleich dazu erhielten die meisten risikoreichen Patienten niedrigmolekulares Heparin (43 Prozent) oder Vitamin K-Antagonisten (34 Prozent).
Zur Überraschung der Forscher erhielten 16 der Patienten gar keine antithrombotische Therapie. Die Mehrheit der Patienten, die keine vorbeugende Behandlung erhielten, gehörten zur Gruppe mit niedrigem oder mittlerem Risiko.
Die Forscher führten außerdem statistische Analysen durch, um zu bestimmen, welche anderen Faktoren zusätzlich zum bewerteten Thromboserisiko die Entscheidungen der Ärzte beeinflusste, eine vorbeugende Behandlung mit antithrombotischen Medikamenten zu verschreiben.
Sie fanden heraus, dass die Wahl der Ärzte größtenteils vom Thromboserisiko des Patienten beeinflusst war, gefolgt von der Zeit seit Myelomdiagnose, der Herzfunktion, der familiären/persönlichen Anamnese von Thromboseneigungen und Dexamethason-Therapie.
Thrombosebildung während der IMiD Behandlung
Die Analyse der mit der IMiD-Behandlung verbundenen Nebenwirkungen zeigte, dass insgesamt 6 Prozent der Patienten Thrombosen entwickelten; 4 Prozent hatten Thrombosen in den tiefen Venen und 2 Prozent in Lungenarterien.
Den Forschern zufolge wurde bisher angenommen, dass das Thromboserisiko während der ersten vier bis sechs Monate der IMiD-Behandlung besonders hoch ist. Jedoch ergibt sich aus der aktuellen Analyse, dass die Thrombosefrequenz zwischen den ersten vier Monaten und den folgenden acht Monaten der Behandlung nicht sehr variiert.
"Bei Myelompatienten sind IMiDs auch nach den ersten sechs Monaten der IMiD-Behandlung mit einem vergrößerten Thromboserisiko verbunden. Deshalb sollte das Thromboserisiko während der gesamten IMiD-Behandlung beobachtet werden," bemerken die Forscher in ihrer Veröffentlichung.
Thrombosen wurde in allen Risikokategorien gefunden; bei 7 Prozent der Patienten mit niedrigen Risiko, 6 Prozent der Patienten mit mittlerem Risiko und 3 Prozent der Patienten mit hohem Risiko.
Die Forscher meinen, dass risikoreiche Patienten wegen der 'besseren und optimierten' vorbeugenden Behandlung mit niedrigmolekularen Heparin und Vitamin K-Antagonisten weniger häufig eine Thrombose entwickelten.
Ungefähr 7 Prozent der Patienten, die Aspirin erhielten, 3 Prozent der Patienten, die niedrigmolekulares Heparin erhielten, und 8 Prozent der Patienten, die keine vorbeugende Behandlung erhielten, entwickelten Thrombosen.
Jedoch wurden keine Thrombosen bei Patienten beobachtet, die Vitamin K-Antagonisten erhielten. Außerdem waren in dieser Untersuchung Vitamin K-Antagonisten bedeutend wirksamer als Aspirin.
Von denjenigen Patienten, die eine Lungenembolie erlitten, hatten 82 Prozent Aspirin erhalten, die übrigen hatten kein gerinnungshemmendes Medikament erhalten. Kein Patient mit niedrigmolekularem Heparin oder Vitamin K-Antagonisten hatte eine Lungenembolie.
Bei der getrennten Analyse von Patienten mit Thalidomid-basierter und Revlimid-basierter Behandlung zeigen die Ergebnisse, dass mehr Patienten mit Thalidomid-basierter Behandlung Thrombosen entwickelten (8 Prozent) als Patienten, die eine Revlimid-basierte Behandlung (5 Prozent) erhielten.
Analyse von Risikofaktoren für die Thrombosebildung
Weitere mathematische Analyse zeigten mit der Thrombosebildung verbundene Risikofaktoren auf. Patienten mit einer kürzeren Zeit von der Diagnosestellung bis zur Behandlung mit IMiDs hatten ein höheres Thromboserisiko. Die Behandlung mit rekombinantem Erythropoietin, einem Hormon, das die roten Blutkörperchen erhöht, erhöhte ebenfalls das Thromboserisiko.
Die Behandlung mit Aspirin hat das Thromboserisiko eines Patienten im Vergleich zu keiner vorbeugenden Behandlung nicht reduziert. Mit Aspirin behandelte Patienten hatten ein zweimal so hohes Thromboserisiko wie Patienten, die mit niedrigmolekularem Heparin oder Vitamin K-Antagonisten behandelt wurden.
Darüber hinaus analysierten die Forscher Faktoren, die das Risiko speziell für tiefe Venenthrombosen verglichen mit Lungenembolien beeinflussen. Sie fanden heraus, dass sowohl das Geschlecht als auch das Rauchen das Risiko für tiefe Venenthrombosen beeinflussten. Männer entwickelten mit größerer Wahrscheinlichkeit tiefe Venenthrombosen als Frauen und Raucher mit größerer Wahrscheinlichkeit als Nichtraucher.
Die Forscher konnten keine endgültigen Schlüsse über den Einfluss von Thrombosen auf das Überleben ziehen. Da jedoch nur 4 Prozent der Patienten, die gestorben sind, Thrombosen entwickelten, bemerken sie, dass die Thrombosebildung das Überleben in dieser Studie nicht bedeutend beeinflusst haben kann.
Für weitere Informationen, siehe bitte die Studie in Thrombosis und Haemostasis (Zusammenfassung).
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