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Der vernachlässigte rote Faden: Malariamedikamente als potenzielle Therapie für das multiple Myelom
By: The Myeloma Beacon Staff; Published: August 5, 2014 @ 12:37 pm | Comments Disabled
Einer der ersten registrierten Fälle eines multiplen Myeloms im modernen Zeitalter war der von Thomas Alexander McBean.
McBean war ein wohlhabender Lebensmittelhändler in London, der 1844 eine Krankheit entwickelte, die zu dieser Zeit keinen Namen und keine bekannte Ursache hatte.
Heute weiss man jedoch, dass das, was McBean hatte, ein multiples Myelom war. Das ist zum Teil auf die Arbeit von Dr. Henry Bence Jones zurückzuführen, der eine Urinprobe von McBean analysierte - diese Arbeit führte zur Identifizierung eines Proteins, welches heutzutage als Bence Jones-Protein beschrieben wird.
McBean lebte ein bisschen länger als ein Jahr nach dem ersten Auftreten ernster Symptome des multiplen Myeloms. Erste Versuche, seine Symptome mit verschiedenen traditionellen Therapien zu lindern, waren nur begrenzt erfolgreich. Jedoch verschwanden seine Symptome für mehrere Monate, nachdem einer seiner Ärzte ihn mit einer Kombination von Stahl (Ja, Stahl) und einem viel versprechenden neuen Medikament behandelte.
Dieses viel versprechende neue Medikament war Chinin, und Ärzte überprüften es damals als potenzielle Behandlung für eine Reihe von verschiedenen Krankheiten. Der ursprüngliche Einsatz von Chinin war jedoch als erste wirksame Behandlung für Malaria.
War es ein Zufall, dass das Malariamedikament Zeichen einer Anti-Myelom Wirksamkeit zeigte, als es verwendet wurde, um das multiple Myelom von Thomas McBean zu behandeln?
Neuere Forschung deutet an, dass dies kein Zufall war.
Der vernachlässigte rote Faden
Gerade in den letzten Monaten sind zwei Artikel mit Ergebnissen in Fachzeitschriften veröffentlicht worden, die darauf hinweisen, dass zwei verschiedene Malariamedikamente Anti-Myelom Wirksamkeit haben können. Außerdem zeigt eine Studie, die 2010 auf der Jahresversammlung der amerikanischen Gesellschaft für Hämatologie (ASH) veröffentlicht wurde, ähnliche Ergebnisse für ein weiteres Malariamittel.
Außerdem gibt es Beweise von mindestens einer großen Studie, die in den 1990er Jahren durchgeführt wurde, dass Chinin selbst Anti-Myelom Wirksamkeit hat.
Jedoch scheint der rote Faden, der diese verschiedenen Studien verbindet – die alle Malariamedikamente beinhalten - entweder vernachlässigt oder völlig übersehen worden zu sein.
Zum Beispiel erwähnen die zwei neuen Forschungsarbeiten, die die Anti-Myelom Wirksamkeit von verschiedenen Malariamedikamenten untersuchen, keine anderen Forschungsaktivitäten für den potenziellen Einsatz solcher Behandlungen beim Myelom.
So beschreibt einer der beiden Artikel die Substanz, die von den Forschern untersucht wird, als ein Medikament für Autoimmunerkrankungen. Das ist eine gültige Beschreibung, aber der ursprüngliche Einsatz für das Medikament war Malaria, eine Infektion des Blutes mit Parasiten.
Es ist an der Zeit, die Tatsache hervorzuheben, dass es diesen roten Faden gibt - und dass, aus welchem Grund auch immer, Forscher weiterhin Anzeichen dafür finden, dass Substanzen, die für die Malariatherapie eingesetzt werden, auch Anti-Myelom Wirksamkeit haben können.
Warum ist der rote Faden wichtig?
Ein Licht auf diesen roten Faden zu werfen dient mehreren Zwecken.
Erstens kann es Forscher dazu ermuntern, nach dem gemeinsamen Weg zu suchen, wie diese Behandlungen das Myelom bekämpfen. Wenn diese Forschung erfolgreich ist, könnte sie zu neuen Therapien führen, die in der Ausnutzung des neugefundenen Mechanismus besser zur Behandlung des Myeloms sind.
Zweitens lenkt es die Aufmerksamkeit auf die individuellen Therapien, die bisher untersucht worden sind, und könnte so weitere Forschung über die potentielle anti-Myelom Wirksamkeit dieser Substanzen fördern.
Die Malariamedikamente, die bisher als potenzielle Myelomtherapien untersucht worden sind, sind alles alte Substanzen. Sie sind deshalb billig und ihre Nebenwirkungen sind bekannt. Sie sind infolgedessen für unternehmungslustige Forscher verhältnismäßig leicht, in vorklinischen oder in klinischen Studien zu untersuchen.
Der Rest dieses Artikels beschäftigt sich mit einigen der Beweise, die bisher über die Anti-Myelom Wirksamkeit von verschiedenen Malariabehandlungen veröffentlicht worden sind.
Es muss betont werden, dass diese Beweise immer noch unreif sind. Außerdem gibt es bisher keine Anzeichen, dass einige der Therapien, die unten besprochen werden, eine dramatische Anti-Myelom Wirksamkeit haben.
Was es jedoch gibt ist eine konsistente Anzahl von Signalen, dass diese Therapien zum Beispiel die Wirksamkeit von vorhandenen Myelomtherapien verbessern können. Und das weist aus den gerade beschriebenen Gründen darauf hin, dass die Therapien – einzeln und als Substanzgruppe – größere Aufmerksamkeit verdienen.
Chinin
Die potenzielle Lehre aus der Reaktion von Thomas McBean auf die chininhaltige “Dublette,” die er gegen sein Myelom erhielt, wurde von den Myelomforschen in den letzten 20 oder 30 Jahren keineswegs übersehen.
Zum Beispiel wurde in den 1990er Jahren eine große klinische Studie durchgeführt, die prüfte, ob die Addition von Chinin zu einer relativ normalen Chemotherapie (“VAD-P”) vorteilhaft für neu diagnostizierte Myelompatienten ist. Es gab zwei Gruppen von Patienten in der Studie. Eine Gruppe wurde mit der VAD-P Therapie behandelt. Die andere erhielt VAD-P und Chinin (VAD-P/Q). Keine Patientengruppe erhielt eine Stammzelltransplantation nach der Beendigung der initialen Therapie, aber viele Patienten erhielten eine Erhaltungstherapie mit Prednison.
Die Ergebnisse der so genannten “SWOG-9210“ Studie haben einerseits gezeigt, dass es keinen bedeutenden Unterschied im Ansprechen der Patienten gab, die die nur wenig unterschiedlichen initialen Therapien erhielten.
Es gab andererseits eine Tendenz zu einem verbessertem progressionsfreiem und Gesamtüberleben bei den Patienten, die die Therapie mit Chinin erhielten (siehe die Abbildung rechts mit den Studienüberlebensergebnissen und den Studiengesamtergebnissen, die in der Zeitschrift Blood [2] [Volltext; auf Englisch] veröffentlicht wurden).
Seit der SWOG-9210 Studie sind wenige oder keine zusätzlichen Untersuchungen durchgeführt worden, um die potentielle anti-Myelom Wirksamkeit von Chinin weiter zu untersuchen.
Die Ursache dafür kann eine andere Studie sein, die auch mit neu diagnostizierten Myelompatienten in den 1990er Jahren geführt wurde, bei der Chinin und das Herzmedikament Verapamil zu einer Chemotherapie hinzufügt wurden, was zu einer substanziellen Zunahme der Nebenwirkungen geführt hat. Die Zunahme war tatsächlich so groß, dass die Forscher die Prüfung der Therapie, die Chinin und Verapamil enthielt, stoppten (siehe den verwandten Artikel im Journal of Clinical Oncology [3] [nur Zusammenfassung; auf Englisch]).
Der Mangel an weiterer Forschung über Chinin bedeutet, dass es in Kombination mit einigen der neuen Myelommedikamenten, die in den letzten 15 Jahren eingeführt wurden, wie Revlimid (Lenalidomid) und Velcade (Bortezomib), noch nicht geprüft worden ist. Es ist deshalb eine offene Frage, ob Chinin bei der Wirkungsverstärkung dieser neuen Substanzen mehr oder weniger wirksam ist im Vergleich zu seiner Wirksamkeit in der Kombination mit den älteren, chemotherapienbasierten Therapien wie VAD-P.
Ebenfalls ist es nicht bekannt, welchen Einfluss Chinin, ohne Verapamil, in Kombination mit neueren Substanzen auf die Behandlungsverträglichkeit haben würde.
Neue Studien mit Malariamitteln
Obwohl Chinin in den letzten Jahren als potentielle Myelomtherapie keine Beachtung fand, wurden andere Malariamedikamente untersucht.
Artesunat
Ein kürzlich veröffentlichter Artikel von Forschern an der Universität von Arkansas berichtet zum Beispiel über Ergebnisse zur vorklinischen Forschung über die Anti-Myelom Wirksamkeit von Artesunat, welches zurzeit von der Weltgesundheitsorganisation als eine Erstlinientherapie für Malaria (Artikel in der Zeitschrift Oncotarget [4] [Volltext; auf Englisch]) empfohlen wird.
Die Autoren merken am Anfang ihres Artikels an, dass es neue Forschungsergebnisse gibt, die darauf hinweisen, dass Substanzen, die Artesunat ähneln, Wirksamkeit gegen Krebs im Allgemeinen haben können. Interessanterweise wird in dem Artikel keine Forschung über die Anti-Myelom Wirksamkeit von Malariabehandlungen erwähnt, auch wenn ein früherer Entwurf des Artikels - präsentiert als Poster auf der Jahresversammlung der amerikanischen Gesellschaft für Hämatologie 2012 (Zusammenfassung [5]; auf Englisch) - ausführlich solche Forschung als ein Motiv für die Studie der Autoren beschreibt.
Während ihrer Untersuchungen von Artesunat fanden die Arkansas-Forscher heraus, dass die Substanz in mehreren verschiedenen behandlungsnaiven und medikamentenresistenten Myelomzelllinien den Zelltod verursachte. Insbesondere war Artesunat im Stande, sowohl bei Velcade- als auch bei Dexamethason-resistenten Myelomzellen Resistenzen zu überwinden.
Außerdem fanden die Forscher heraus, dass Artesunat synergistisch mit Velcade und Dexamethason als ein Anti-Myelom Medikament wirken kann.
Auf Grundlage dieser Ergebnisse empfehlen die Forscher, dass Artesunat weiter untersucht werden sollte, um sein therapeutisches Potenzial beim multiplen Myelom zu bestimmen.
Hydroxychloroquine
Kurz nach der Veröffentlichung der Arkansas-Studie berichteten Forscher von der Universität Pennsylvania über die Ergebnisse einer Phase 1-Studie, die Hydroxychloroquin (Plaquenil) in Kombination mit Velcade bei Patienten mit rezidiviertem/refraktärem multiplen Myelom (Artikel in der Zeitschrift Autophagy [Volltext [6]; auf Englisch]) prüft.
Hydroxychloroquin wird häufig verwendet, um Entzündungen zu behandeln, die mit Autoimmunerkrankungen wie der rheumatischen Arthritis, verbunden sind. Als es in den 1950er Jahren auf den Markt gebracht wurde, wurde es zunächst jedoch zur Behandlung von Malaria verwendet.
Die Phase 1-Studie, die die Kombination von Hydroxychloroquin und Velcade prüft, umfasst 25 Myelompatienten, die eine mittlere Anzahl von drei Vortherapien erhalten haben. Fast zwei Drittel der Patienten wurden vorher mit Velcade behandelt.
Sechs verschiedene Velcade- und Hydroxychloroquin-Dosierungsschemata wurden in der Studie geprüft. Von den sechs Patienten, die die höchste Hydroxychloroquin-Dosis erhielten, sprachen 33 Prozent auf die Therapie an, alle mit sehr guten teilweisen Remissionen. Von den Studienpatienten, die vorher nicht mit Velcade behandelt worden waren, sprachen 38 Prozent auf die Behandlung an und wieder waren alles sehr gute teilweise Remissionen.
Die Forscher beschreiben die Zwei-Substanz-Kombination als “gut verträglich” und glauben, dass die Dosierung mit der höchsten Hydroxychloroquin-Dosis die bevorzugte Dosierung sein sollte.
Obwohl die Forscher etwas höhere Ansprechraten als die in der Studie beobachteten erwartet hatten, schließen sie, dass die Kombination von Hydroxychloroquin mit Velcade “möglich und eine potentiell nützliche Strategie zur Verbesserung der Ergebnisse beim Myelom ist.“ Sie empfehlen, dass Hydroxychloroquin in der Kombination mit Substanzen derselben Klasse wie Velcade weiter untersucht werden sollte. Eine solche Substanz wäre Kyprolis (Carfilzomib).
Hydroxychloroquin wird zurzeit in einer zweiten klinischen Studie mit rezidivierten Myelompatienten geprüft, die noch andauert (siehe verwandte Nachrichten [7] von Myeloma Beacon; auf Englisch). Die Substanz wurde auch in einer anderen klinischen Studie an der Universität von Pennsylvania mit Myelompatienten geprüft, die jetzt abgeschlossen ist.
Mefloquin
Auf der ASH-Jahresversammlung 2010 haben kanadische Forscher einen Vortrag über ihre Forschung gehalten, die sich auf das Malariamedikament Mefloquin (Lariam) konzentriert, das chemisch mit Chinin verwandt ist (Abstrakt [8]; auf Englisch).
Im Speziellen haben die kanadischen Forscher mehrere verschiedene vorklinische Tests über die Anti-Myelom- und Antileukämie-Wirksamkeit von Mefloquin durchgeführt. In einer Reihe von Testshaben sie zum Beispiel die Substanz zu Kulturen mehrerer verschiedener Leukämie- und Myelomzelllinien gegeben. In allen Fällen hat die Substanz eine Wirksamkeit gegen die kultivierten Zellen demonstriert.
Die Forscher fanden auch heraus, dass Mefloquin das Tumorwachstum in Mäusen verzögert, die mit verschiedenen menschlichen Leukämie- und Myelomzellen geimpft wurden.
Danach führten die Forscher mehrere zusätzliche Tests durch, um den Mechanismus zu bestimmen, mit dem Mefloquin zum Zelltod bei den Myelom- und Leukämienzellen führt.
Auf Grundlage dieser Testergebnisse und der früheren Prüfung mit Zellkulturen und Mäusen schließen die Forscher, dass Mefloquin “eine vorklinische Wirksamkeit bei Leukämie und Myelom zeigt” und dass es “aufgrund seiner toxikologischen und pharmakologischen Prüfung schnell in die klinische Prüfung für Patienten mit Leukämie und Myelom gebracht werden könnte.”
Verweis:
Für weitere Informationen über die Geschichte des multiplen Myeloms - einschließlich weiterer Details über Thomas Alexander McBean - siehe den folgenden Artikel [9] (auf Englisch), der 2008 in der Zeitschrift Blood veröffentlicht wurde.
Wichtiger Hinweis:
Chinin ist nicht nur als ein verschreibungspflichtiges Medikament erhältlich, sondern auch in niedrigen Dosen wichtigster Bestandteil von Tonic Wasser und gibt diesem seinen kennzeichnenden Geschmack. Weil Chinin auch Muskelkrämpfe lindern und verhindern kann, wird Tonic Wasser auch als Hausmittel für Krämpfe empfohlen.
Die FDA hat jedoch vor mehreren Jahren vor dem off label-Gebrauch von verschreibungspflichtigem Chinin [10] für Muskelkrämpfe und dem „restless legs“ Beinsyndrom gewarnt und dabei mehrere Fälle zitiert, bei denen ein solcher Gebrauch zu schweren Nebenwirkungen geführt hat. Diese Nebenwirkungen waren häufig niedrige Thrombozytenzahlen und schwere hämatologische Probleme.
Die Leser sollten deshalb eine Selbstmedikation mit Chinin in jedem Fall vermeiden, ohne sie vorher mit ihren Ärzten besprochen zu haben.
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[1] Image: https://myelomabeacon.org/wp-content/uploads/2014/06/SWOG9210.png
[2] Blood: http://www.bloodjournal.org/content/99/9/3163?variant=long&sso-checked=1
[3] Journal of Clinical Oncology: http://jco.ascopubs.org/content/16/3/890.abstract
[4] Oncotarget: http://www.impactjournals.com/oncotarget/index.php?journal=oncotarget&page=article&op=view&path%5B%5D=1847&path%5B%5D=2606
[5] Zusammenfassung: https://ash.confex.com/ash/2012/webprogram/Paper51613.html
[6] Volltext: https://www.landesbioscience.com/journals/autophagy/article/29264/
[7] Nachrichten: https://myelomabeacon.org/news/2012/10/01/beacon-newsflashes-october-1-2012/
[8] Abstrakt: https://ash.confex.com/ash/2010/webprogram/Paper28904.html
[9] folgenden Artikel: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2265446/
[10] off label-Gebrauch von verschreibungspflichtigem Chinin: http://www.fda.gov/Drugs/DrugSafety/PostmarketDrugSafetyInformationforPatientsandProviders/ucm218202.htm
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